Hatte Georg Elser proletarische Sympathisanten?

Spekulationen über angebliche Mitwisser von Karl Heinz Roth

Wer geglaubt hat, die Gerüchtebildung um Georg Elsers Attentat auf Hitler habe mittlerweile ein Ende gefunden, hat sich getäuscht. Die neuesten Spekulationen über Elsers angebliche "proletarische" Unterstützer stammen von einem Historiker aus Bremen.


VON PETER KOBLANK (2007)

In seinem Aufsatz "Das Elser-Problem" schreibt Karl Heinz Roth:

Er schritt zur Tat - als Einzelner, aber in der Sicherheit und Gewissheit eines intakt gebliebenen proletarischen Zusammenhalts, der zugleich sein individuelles Gewissen war. Wer seine monatelangen Attentatsvorbereitungen in ihrem ganzen Ausmaß an seinem geistigen Auge vorbeiziehen lässt, muss zwingend davon ausgehen, dass er stille Sympathisanten hatte: Menschen wie seinesgleichen, denen bald klar war, dass er "etwas Größeres" im Schild führte, die aber darüber hinwegsahen, ihn gewähren ließen, ihn vielleicht auch einmal insgeheim deckten und ihn nicht denunzierten. ... Elser agierte aus einer sozialen Grauzone heraus, die ihn stillschweigend deckte, ohne seine systematisch durchdachten Pläne zu kennen, ...1

Wer diese proletarischen Sympathisanten waren, von denen die Elser-Forschung bis heute nichts weiß, wird nicht näher erläutert. Stattdessen wird ausgeführt:

Es macht die Größe des Widerstandskämpfers Georg Elser aus, dass er in den oftmals gewalttätig "verschärften" Verhören über diese informellen und mentalen Kontexte seines Handelns eisern geschwiegen hat. Er gestand seine Tat in allen Details, und er baute sogar seinen Sprengapparat nach, aber er präsentierte den Verhörsspezialisten keine einzige Aussage, die jene belastete, die ihm - wohl in Unkenntnis seines Vorhabens - stillschweigend geholfen oder einfach weggeschaut und ihn hatten gewähren lassen. 2

Tatsache ist, dass Georg Elser der Gestapo zahlreiche Personen nannte, die ihm, ohne seine Attentatspläne zu kennen, bei der Realisierung der Tat ungewollt behilflich waren. Ihre Namen sind im Gestapo-Protokoll aufgezeichnet. Sie alle wurden auf Grund von Elsers Aussagen verhaftet und intensiv verhört. Da sie ausnahmslos glaubhaft machen konnten, von Elsers Tat nichts gewusst zu haben, wurden sie nach relativ kurzer Zeit wieder freigelassen.

Den Handwerkern beispielsweise, die Teile von Elsers Bombe hergestellt hatten, hatte Elser den Bären aufgebunden, das "gibt ein Patent." So war es plausibel, dass er ihnen keine Details seiner Erfindung verraten wollte.

Der einzige, der längere Zeit in KZ-Haft verbringen musste, war Georg Vollmer. Ihm gehörte der Steinbruch in Königsbronn, wo Elser größere Mengen Dynamit für seine Bombe gestohlen hatte. Dass er nicht ordentlich auf seinen Sprengstoff aufgepasst hatte, wurde Vollmer zum Verhängnis. Er war jedoch Parteimitglied und einige Jahre lang NSDAP-Ortsgruppenleiter gewesen und kam schließlich nach Intervention seiner Frau bei höchsten Parteistellen wieder frei.

Auch nach Ende des Dritten Reiches gab es - von wenigen unglaubhaften Ausnahmen abgesehen - niemand, der für sich eine Mitwisserschaft oder gar Mittäterschaft beim Elser-Attentat reklamierte.

Wer waren die wichtigsten Personen im Umfeld von Georg Elser, die als Sympathisanten in Frage kamen?

  • Elser, Maria (* Müller)
    Elsers Mutter hatte keine Ahnung von Elsers Vorhaben. 3

  • Elser, Ludwig
    Zu seinem Vater, einem Trinker, hatte Elser ein sehr distanziertes Verhältnis. Ludwig Elser beobachtete seinen Sohn in Königsbronn bei Sprengversuchen im elterlichen Obstgarten. Elser gab dazu keine Erklärungen ab und sein Vater hat sich auch nicht darum gekümmert.

  • Elser, Leonhard
    Elsers Bruder war mit seinem in Königsbronn lebenden Bruder Leonhard seit einiger Zeit zerstritten, wie dieser auch später immer wieder bestätigte.

  • Kraft, Friederike (* Elser)
    Elser hatte zu seiner Schwester Friederike und seinem Schwager Willi Kraft kein gutes Verhältnis.

  • Elser, Anna
    Elser war mit seiner Schwester, die in Zuffenhausen lebte und deren Mann Fritz (Nachname nicht bekannt) verfeindet.

  • Hirth, Maria (* Elser)
    Elsers Schwester Maria lebte mit ihrem Mann Karl in Stuttgart. Zu ihr fuhr Elser unmittelbar vor dem Attentat. Sie sollte Wäsche, Kleidung und Werkzeug für ihn aufbewahren. Sie wusste, dass Elser "über den Zaun" in die Schweiz wollte und gab ihm 30 RM für eine Bahnfahrkarte. Elser verschwieg den Grund und Maria nahm an, er wolle sich endgültig den Alimentenzahlungen für seinen unehelichen Sohn entziehen. Sie hatte ebenso wie ihr Mann keine Ahnung von Elsers Attentatsplan.

  • Rau, Eugen
    Schulkamerad und Jugendfreund Elsers vom 7. Lebensjahr an. Er berichtete 1989 in einem Interview, Elser habe ihm 1939 einmal gesagt: "Mir kriegad in Deutschland koi bessera Zeit, hend koi bessera Zukunft, bevor dui Regierung et end Luft gschprengt ischt. Ond i sag 's dir, i mach des no, i du 's." Darauf habe er geantwortet: "Ha, Georg, des kascht doch et macha!"

  • Niedermann, Mathilde
    Sie wurde 1930 Mutter von Elsers unehelichem Sohn Manfred. Der Kontakt war sein Jahren abgebrochen, Elser zahlte die Unterhaltszahlungen höchst widerwillig.

  • Härlen, Elsa
    Elsers Geliebte in Königsbronn wohnte inzwischen in Jebenhausen bzw. Esslingen und wusste von nichts.

  • Schmauder, Maria
    Elsers wohnte, bevor er nach München umzog, bei der Familie Schmauder in Heidenheim-Schnaitheim als Untermieter. Die Familie Schmauder und auch Maria, mit der Elser sich gut verstand ("haben uns auch mal geküsst, sind aber bis heute per Sie)", wussten von nichts. Sofern ihnen Elsers Verhalten seltsam vorkam, begründete er dies stets mit seiner angeblichen Erfindung.

  • Kuch, Karl
    Um Karl Kuch ranken sich verschiedenste Gerüchte zum Thema Elser, die sich inzwischen als reine Spekulationen erwiesen haben. Kuch starb am 3.6.1939, also bereits fünf Monate vor dem Attentat, bei einem Autounfall. Es ist nicht einmal sicher, dass sich Kuch und Elser überhaupt persönlich kannten.

  • Vollmer, Georg
    Vollmer gehörte der Steinbruch, wo Elser das Dynamit für seine Bombe stahl. Vollmer kam dadurch in große Schwierigkeiten und war längere Zeit in KZ-Haft. Weder er, noch der im Gestapo-Protokoll genannte Vorarbeiter Kolb oder die Arbeiter Munk, Weiß, Frank, Rieg und Maurer hatten den Diebstahl bemerkt. Laut Elser-Biograf Hellmut G. Haasis behauptete Georg Vollmer, als er 1956 Wiedergutmachung für seine KZ-Haft verlangte, "er habe von Elsers Attentat Kenntnis gehabt und ihm den Sprengstoff selber zur Verfügung gestellt." 4

  • Schwenk, Wilhelm
    Schwenk arbeitete gleichzeitig mit Elser im Steinbruch Vollmer in Königsbronn. 2005 erklärte er in einem Interview: "In den Bunker, in dem der Sprengstoff lag, konnte fast jeder rein, das Schloss bekam man leicht auf."

  • Payerl, Anton
    Payerl war der Pächter des Bürgerbräukellers in München. Als er Elser bei seiner heimlichen nächtlichen Arbeit auf der Galerie des Bürgerbräukellers erwischte, konnte Elser sich schlagfertig herausreden.

  • Renner
    Renner war Hausbursche im Bürgerbräukeller. Bei einem Aufenthalt Elsers in München im April 1939 erzählte Renner, er müsse wahrscheinlich demnächst zum Militär. Elser kam auf die Idee, sich um dessen Stelle zu bewerben. Er erklärte Renner, das sei seine einzige Chance, nach München zu kommen, was Renner ihm glaubte. Obwohl Elser ihm schließlich 50 RM bot, scheiterte dieser Versuch Elsers, direkt am Tatort eine Arbeitsstelle zu bekommen. Als Elser ab Sommer 1939 in München war, hat er Renner laut Gestapoprotokoll nicht mehr zu Gesicht bekommen.

  • Baumann
    Bei der Familie Baumann in der Blumenstraße 19/II in München hatte Elser im August 1939 ein Zimmer gemietet. Sein nächtliches Ausbleiben - Elser arbeitete an der Aushöhlung der Säule im Bürgerbräukeller - fiel den Baumanns bald auf. Elser sagte ihnen, dass er nachts an seiner Erfindung studiere und sich deshalb im Freien auf einer Bank aufhalte. Da die Miete zu hoch und kein Platz zum "Basteln" war, zog er am 1.9.1939 zu den Lehmanns um.

  • Lehmann, Rosa
    Rosa Lehmann war die Vermieterin in der Türkenstraße 94/II in München. Sie erinnerte sich später in einem Interview: "Eines schönen Tages, wo ich gerade die Kammer aufgeräumt hab', seh ich da einen Akkumulator am Fenster stehn. Was braucht der einen Akkumulator? Komisch ist's schon, hab' ich meinem Mann gesagt, geh' einmal 'rüber und schau's dir an! Und am Schreibtisch stand eine Uhr, die war irgendwie eingestellt. Mein Mann hat sich also den Akkumulator und die Uhr angeschaut, dann mich, dann hat er gemeint: 'Der wird doch nicht eine Höllenmaschine bauen!' Da haben wir beide recht gelacht und sind hinausgegangen. Damit war der Fall erledigt."

  • Wechsler
    In der Dreherei von Wechsler in München ließ Elser verschiedene Teile seiner Bombe anfertigen.

  • Niederhofer, Max
    Niederhofer wird im Gestapo-Protokoll zwar namentlich nicht genannt, dürfte aber mit der "Dreherei und Schlosserei in der Nähe der Baaderstr." gemeint sein, in der sich Elser zwei Uhrengewichte ausbohren ließ. Nach seinen eigenen Angaben wurde er erst im Jahre 1940 verhaftet. Er behauptete 1946 gegenüber der Süddeutschen Zeitung, er habe den Zweck dieser Teile damals sofort identifiziert: "Das wird eine Höllenmaschine für das Bürgerbräu!" Er habe die Zahnräder verändert, um den Nazis einen Streich zu spielen: "Ich machte zwei Zähne weniger, als Elser angegeben hatte, sodass die Bombe viel früher explodieren musste, als es gewollt war." In einem Interview für eine Reportage in der Bild am Sonntag im Jahre 1959 war von dieser unglaubwürdigen Geschichte keine Rede mehr.

  • Solleder, Karl
    In der Schlosserei von Solleder ließ Elser mehrmals seinen Meißel verlängern und diverse Teile der Bombe fertigen.

  • Brög, Jörg
    In der Schreinerei von Brög baute Elser seine Bombe zusammen. Auch Brög erzählte Elser die Geschichte von der angeblichen Erfindung. Auf die Frage Brögs, ob dies eine Uhrwerk gäbe, das morgens beim Wecken auch das Licht anzünde, antwortete Elser: "Ja, so ähnlich!" Als Gegenleistung für die Benutzung der Werkstatt half Elser Brög bei verschiedenen Arbeiten aus. Nach Aufgabe seiner Wohnung schlief Elser in den letzten Tagen vor dem Attentat mehrmals in Brögs Werkstatt.

  • Suckfüll
    Bei der Eisenwarenhandlung Suckfüll kaufte Elser Teile für seine Bombe.

  • Kustermann
    In der Gießerei Kustermann ließ Elser einen Klotz für seine Bombe gießen.

Sympathisant von Georg Elsers Plan, Hitler zu beseitigen, konnte nicht sein, wer von dieser Absicht überhaupt nichts wusste.

Die einzigen aber, die nach Ende des Dritten Reiches erklärten, schon im Vorfeld von Elsers Attentat gewusst zu haben, waren sein Jugendfreund Eugen Rau, Schlossermeister Max Niederhofer sowie Steinbruchbesitzer Georg Vollmer.

Eugen Rau in Königsbronn war jedoch erklärtermaßen kein Befürworter der Idee Elsers, "die Regierung in die Luft zu sprengen".

Max Niederhofer in München will Elsers Metallteilen hellseherisch angesehen haben, dass sie Monate später für eine Bombe im Bürgerbräukeller verwendet werden sollten. Seine Veränderung der Zahnräder soll zu einem früheren Explosionszeitpunkt geführt haben. Dies alles sind offensichtliche Märchen. Als er sich 1959 in der Bild am Sonntag damit hätte profilieren können, hat er sie auch nicht mehr wiederholt. Also hat auch er nicht der angeblichen Unterstützer-Szene Elsers angehört.

Übrig bleibt Georg Vollmer in Königsbronn. Er war Urheber verschiedenster Gerüchte über Elser, die sich inzwischen allesamt als substanzlos erwiesen haben. Der Unternehmer kommt aber als Mitstreiter in einem "intakt gebliebenen proletarischen Zusammenhalt" ohnehin nicht in Frage.

Es ist erstaunlich, dass ein Historiker 5 angesichts dieser öffentlich zugänglichen, für seine Theorie aber vernichtenden Quellenlage "zwingend davon ausgehen" kann, Elser habe proletarische Unterstützer gehabt.


1Karl Heinz Roth: Das Elser-Problem: Die Misere der Geschichtsschreibung über den antinazistischen Widerstand in der Ära des Kalten Kriegs und ihre Auswirkungen auf den Paradigmenwechsel der neunziger Jahre, in: Achim Rogoss, Eike Hemmer, Edgar Zimmer (Hrsg.): Georg Elser. Ein Attentäter als Vorbild, Bremen 2006, Seite 74
2Ebenda, Seite 74 f
3Auf ausführliche Begründungen wird in diesem Artikel verzichtet. Die Links bei den jeweiligen Namen führen direkt zu den passenden Fundstellen im Georg-Elser-Archiv mit Dokumenten und weiterführenden Artikeln.
4 Hellmut G. Haasis: Den Hitler jag' ich in die Luft, Berlin 1999, S. 249
5 Karl Heinz Roth (* 1942 in Wertheim) ist promovierter Arzt, Historiker und Sozialforscher. Vita und politische Ausrichtung von Roth siehe Wikipedia.

Dieser Artikel ist Teil der Online-Edition Mythos Elser.