Sophie Scholl: Todesurteil

Urteil

Szene aus dem Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Marc Rothemund (2005): Sophie Scholl (Julia Jentsch) vor dem Präsidenten des Volksgerichtshofs Dr. Roland Freisler (André Hennicke) am 22. Februar 1943 im Schwurgerichts-saal des Justizpalasts in München.

Im Namen des Deutschen Volkes
In der Strafsache gegen

1. den Hans Fritz  S c h o l l aus München, geboren in Ingersheim
am 22. September 1918,

2. die Sophia Magdalena  S c h o l l aus München, geboren in Forchtenberg am 9. Mai 1921,

3. den Christoph Hermann
P r o b s t aus Aldrans bei Innsbruck, geboren in Murnau
am 6. November 1919,

zurzeit in dieser Sache in gerichtlicher Untersuchungshaft, wegen landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung
zum Hochverrat, Wehrkraftzersetzung

hat der Volksgerichtshof, 1. Senat, auf Grund der Hauptverhandlung vom 22. Februar 1943, an welcher teilgenommen haben als Richter:

Präsident des Volksgerichtshofs Dr. Freisler, Vorsitzer,
Landgerichtsdirektor Stier,
SS-Gruppenführer Breithaupt,
SA-Gruppenführer Bunge,
Staatssekretär und SA-Gruppenführer Köglmaier,
als Vertreter des Oberreichsanwalts:
Reichsanwalt Weyersberg,

für Recht erkannt: Die Angeklagten haben im Kriege in Flugblättern zur Sabotage der Rüstung und zum Sturz der nationalsozialistischen Lebensform unseres Volkes aufgerufen, defätistische Gedanken propagiert und den Führer aufs gemeinste beschimpft und dadurch den Feind des Reiches begünstigt und unsere Wehrkraft zersetzt.

Sie werden deshalb mit dem T o d e bestraft.

Ihre Bürgerehre haben sie für immer verwirkt.

G r ü n d e

Der Angeklagte Hans Scholl hat seit Frühjahr 1939 Medizin studiert und steht - dank der Fürsorge der nationalsozialistischen Regierung - im achten Semester. Zwischendurch war er im Frankreichfeldzug in einem Feldlazarett und von Juli bis November 1942 an der Ostfront im Sanitätsdienst tätig.

Als Student hat er die Pflicht vorbildlicher Gemeinschaftsarbeit. Als Soldat - er ist als solcher zum Studium kommandiert - hat er eine besondere Treuepflicht zum Führer. Das und die Fürsorge, die gerade ihm das Reich angedeihen ließ, hat ihn nicht gehindert, in der ersten Sommerhälfte 1942 Flugblätter "der Weißen Rose“ zu verfassen, zu vervielfältigen und zu verbreiten, die defätistisch Deutschlands Niederlage voraussagen, zum passiven Widerstand der Sabotage in Rüstungsbetrieben und überhaupt bei jeder Gelegenheit auffordern, um dem deutschen Volk seine nationalsozialistische Lebensart und also auch Regierung zu nehmen.

Das, weil er sich einbildete, dass nur so das deutsche Volk durch den Krieg durchkommen könne!!

Von Russland im November 1942 zurückgekehrt, forderte Scholl seinen Freund, den Mitangeklagten Probst auf, ihm ein Manuskript zu liefern, das dem deutschen Volk die Augen öffne! Einen Flugblattentwurf, wie gewünscht, lieferte Probst dem Scholl auch tatsächlich Ende Januar 1943.

In Gesprächen mit seiner Schwester Sophia Scholl entschlossen sich beide, Flugblattpropaganda im Sinne einer Arbeit gegen den Krieg und für ein Zusammengehen mit den feindlichen Plutokratien gegen den Nationalsozialismus zu treiben. Die beiden Geschwister, die ihre Studentenzimmer bei derselben Vermieterin hatten, verfassten gemeinsam ein Flugblatt "an alle Deutschen“. In ihm wird Deutschlands Niederlage im Krieg vorausgesagt: der Befreiungskrieg gegen das "nationalsozialistische Untermenschentum“ angesagt und es werden Forderungen im Sinne liberaler Formaldemokratie aufgestellt. Außerdem verfassten die Geschwister ein Flugblatt "deutsche Studentinnen und Studenten“ (in späteren Auflagen "Kommilitoninnen und Kommilitonen“). Sie sagen der Partei den Kampf an, der Tag der Abrechnung sei gekommen, und scheuen sich nicht, ihren Aufruf zum Kampf gegen den Führer und die nationalsozialistische Lebensart unseres Volkes mit dem Freiheitskampf gegen Napoleon (1813) zu vergleichen und auf ihn das Soldatenlied "Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!“ anzuwenden!!!

Die Flugblätter haben die Angeklagten Scholl teilweise mit Hilfe eines Freundes, des Medizinstudenten Schmorell, vervielfältigt und in allseitigem Einvernehmen verbreitet:

1. Schmorell fuhr nach Salzburg, Linz, Wien und warf dort 200, 200, 1200 adressierte Flugblätter für diese Städte und in Wien außerdem 400 für Frankfurt am Main in Briefkästen.

2. Sophia Scholl warf in Augsburg 200 und ein andermal in Stuttgart 600 in Postbriefkästen.

3. Nachts streute Hans Scholl zusammen mit Schmorell Tausende in Münchner Straßen aus.

4. Am 18. Februar legten die Geschwister Scholl 1500-1800 in der Münchener Universität in Päckchen ab und Sophia Scholl warf einen Haufen vom 2. Stock in den Lichthof.

Hans Scholl und Schmorell haben auch am 3.8. und 15.2.43 nachts an vielen Stellen Münchens, so vor allem auch an der Universität, Schmieraktionen mit den Inschriften "Nieder mit Hitler“, "Hitler der Massenmörder“, "Freiheit“ durchgeführt. Nach der ersten Aktion erfuhr das Sophia Scholl, war damit einverstanden und bat - freilich vergeblich - künftig mitmachen zu dürfen!

Die Auslagen - im Ganzen ungefähr 1000 Mark - haben die Angeklagten selbst bestritten.

Probst hat auch sein Medizinstudium im Frühjahr 1939 begonnen und steht jetzt als zum Studium kommandierter Soldat im 8. Semester. Er ist verheiratet und hat 3 Kinder von 2 ½, 1 ¼ Jahren und 4 Wochen. Er ist ein "unpolitischer Mensch“, also überhaupt kein Mann! Weder die Fürsorge des nationalsozialistischen Reichs für seine Berufsausbildung noch die Tatsache, dass nur die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik ihm ermöglichte, als Student eine Familie zu haben, hinderten ihn, auf Aufforderung Scholls "ein Manuskript“ auszuarbeiten, das den Heldenkampf in Stalingrad zum Anlass nimmt, den Führer als militärischen Hochstapler zu beschimpfen, in feigem Defätismus zu machen, und das dann in Aufrufform übergehend, zum Handeln im Sinne einer, wie er vorgibt, ehrenvollen Kapitulation unter Stellungnahme gegen den Nationalsozialismus auffordert. Er belegt die Verheißungen seines Flugblattes durch Bezugnahme auf - Roosevelt. Und hat dies sein Wissen vom Abhören englischer Sender!

Alle Angeklagten haben das oben Festgestellte zugegeben. Probst versucht sich mit "psychotischer Depression“ bei Abfassung zu entschuldigen: Grund hierfür sei Stalingrad und das Wochenbettfieber seiner Frau gewesen. Allein das entschuldigt eine solche Reaktion nicht.

Wer so, wie die Angeklagten, getan haben, hochverräterisch die innere Front und damit im Kriege unsere Wehrkraft zersetzt und dadurch den Feind des Reiches begünstigt (§ 5 Kriegssonderstraf VO und § 91b StrGB), erhebt den Dolch, um ihn in den Rücken der Front zu stoßen! Das gilt auch für Probst, der zwar behauptet, sein Manuskript habe kein Flugblatt werden sollen, denn das Gegenteil zeigt schon die Ausdrucksweise des Manuskriptes. Wer so handelt, versucht gerade jetzt, wo es gilt, ganz fest zusammenzustehen, einen ersten Riss in die geschlossene Einheit unserer Kampffront zu bringen. Und das taten deutsche Studenten, deren Ehre allzeit das Selbstopfer für Volk und Vaterland war!

Wenn solches Handeln anders als mit dem Tode bestraft würde, wäre der Anfang einer Entwicklungskette gebildet, deren Ende einst - 1918 - war. Deshalb gab es für den Volksgerichtshof zum Schutze des kämpfenden Volkes und Reiches nur eine gerechte Strafe: die Todesstrafe. Der Volksgerichtshof weiß sich darin mit unseren Soldaten einig!

Durch ihren Verrat an unserem Volk haben die Angeklagten ihre Bürgerehre für immer verwirkt.

Als Verurteilte müssen die Angeklagten auch die Kosten des Verfahrens tragen.

Gez. Dr. Freisler                                                                        Stier.

Ausgefertigt:
Berlin, den 23. Februar 1943.
Amtsrat
Als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

An
den Herrn Oberreichsanwalt
beim Volksgerichtshof
mit 17 Abschriften
und den Akten.

Quelle: Bundesarchiv Berlin, ZC 13267, Bd. 8


Urteil

Seite 1 des Urteils vom 22. Februar 1943 gegen die Mitglieder der Weißen Rose
Quelle: Bundesarchiv Berlin, ZC 13267, Bd. 8

Der Festnahme am Donnerstag, 18.2.1943 und den Geständnissen der Geschwister Scholl am Morgen des Freitag, 19.2.1943 folgte schon am Montag, 22.2.1943 der Schauprozess und die Enthauptung. Beim Tatbestand der Vorbereitung zum Hochverrat war der Volksgerichtshof zuständig, eine Institution, die das NS-Regime bereits 1934 zum Zwecke politischer Justiz geschaffen hatte.

Freisler

Dr. Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofs
Quelle: Süddeutscher Verlag Bilderdienst

Dr. Roland Freisler, seit August 1942 Präsident des Volksgerichtshofs, reiste am Sonntag, 21.2.1943 von Berlin aus nach München, wo der Prozess gegen Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst vor dem 1. Senat des Volksgerichtshofs im Schwurgerichtssaal des Justizpalastes stattfand.

Der Prozess begann am Montag, 22.2.1943 um 10 Uhr. Den Angeklagten und ihren Pflichtverteidigern war keine Zeit geblieben, sich auf die Anklage vorzubereiten. "Tobend, schreiend, bis zum Stimmüberschlag brüllend, immer wieder explosiv aufspringend", schilderte der Augenzeuge Leo Samberger den Präsidenten des Volksgerichtshofes Freisler, "der sich in der ganzen Verhandlung nur als Ankläger aufspielte und nicht als Richter zeigte." Die Pflichtverteidiger setzten sich während der dreieinhalbstündigen Verhandlung nicht ernsthaft für ihre Mandanten ein.

Während der 23-jährige Familienvater Christoph Probst auf mildernde Umstände plädierte, entschieden sich Hans und Sophie Scholl für eine offensive Verteidigung. "Sie wissen so gut wie ich, daß der Krieg verloren ist. Warum geben Sie das nicht zu?" hielt Sophie Scholl dem Richter vor. Auf die Frage Freislers nach dem Tatmotiv antwortete sie: "Einer muss ja doch schließlich damit anfangen. Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen."

Kurz vor Ende der Verhandlung drangen die Eltern der Geschwister Scholl in den Sitzungssaal ein. Das Bemühen des Vaters, Robert Scholl, sich gegenüber dem Präsidenten des Volksgerichtshofs zugunsten seiner Kinder zu verwenden, wies Freisler zurück. Als er sie vom Gerichtsdiener aus dem Saal entfernen ließ, stieß der Vater hervor: "Es gibt noch eine andere Gerechtigkeit!".

Die Todesurteile wurden um 13:30 Uhr verkündet. Es waren drei von über fünftausend, die der Volksgerichtshof während der Präsidentschaft Freislers zwischen 1942 und 1945 verhängte.

Die Vollstreckung erfolgte gegen 17 Uhr im Strafgefängnis München-Stadelheim. Sophie Scholl wurde unter Leitung von Reichsanwalt Alfred Weyersberg gemeinsam mit Hans Scholl und Christoph Probst von Scharfrichter Johann Reichhart mit der Fallschwertmaschine (Guillotine) hingerichtet.

Am 19.4.1943 verurteilte Freisler in München beim zweiten Weiße-Rose-Prozess Willy Graf, Alexander Schmorell und Prof. Dr. Kurt Huber zum Tode, weitere Angeklagte erhielten Haftstrafen. Bis zum Kriegsende folgen weitere Prozesse.

Volksgerichtshofpräsident Dr. Roland Freisler kam am 3. Februar 1945 in Berlin ums Leben, als die amerikanische Luftwaffe ihren bis dahin schwersten Angriff auf die Hauptstadt flog, bei dem siebenhundert Bomber für mehr als zwanzigtausend Menschen den Tod brachten.

Johann Reichhart vollstreckte während der Weimarer Republik seit 1924 und der Zeit des Dritten Reiches etwas über 3.000 Todesurteile. Nach 1945 wurde er von der Militärregierung der USA in Deutschland einige Jahre weiterbeschäftigt und henkte 156 verurteilte Nazigrößen im Gefängnis Landsberg am Lech am Galgen. Er starb 1972.

Sophie Scholl
Das letzte Flugblatt der Weißen Rose
Vernehmungsprotokoll der Sophie Scholl
Sie erkannte sofort, worauf ich hinauswollte
So ein herrlicher sonniger Tag, und ich muss gehen
Vergleich Lubbe - Elser - Schulze-Boysen - Scholl - Stauffenberg